ZWISCHENFALL 
oktober 1938 mußten wir aus wien flüchten. 
meine großmutter ungarische pension 
wurde von einem nazi-beamten gesucht. 
ungarn war noch nicht in nazihand & meine großmutter ungarin. 
wir waren österreichische bürger --
mein vater, einziger sohn seiner mutter. 

wir reisten schnell in der nacht richtung schweizer grenze. 
die grenze war geschlossen 
eine nacht vor unserer ankunft. 
regen --
schwindlige bergwege --
wir kletterten rutschten schlammig zurück zum grenzdorf. 
noch ein versuch --
jetzt verzweifelte 20 (hauptsächlich junge männer) 
mit gemietetem führer über den hochwasser-rhein. 
eine frau rutscht aus im schlamm .... 
schüsse singen über unsere köpfe 
sollen uns nicht wirklich treffen 
(die schweizer scharfschützen) --
die warnung wirklich genug --
zurück wir können nicht mehr aufnehmen
und wir konnten auch nicht mehr. 
wir drei ohne groschen am innsbrucker bahnhof --
offensichtlich nicht arisch. 

was jetzt?

jeden moment die frage --
die einzige antwort! 

eine junge frau strich vorbei --
ein flüstern kommt mit. 
was hätten wir zu verlieren? 

nasse nacht 
enge straßen--
wir blieben einen block hinter ihr 
bis sie in einem hauseingang verschwand. 
ein spalt licht--
wir traten ein. 

habt ihr hunger? sagte sie. 
ich zeig euch euer bett. 
die ganze nacht fingen die jalousien licht. 
einmal klopfte es 

die sonne strahlte durch die Jalousien 
als sie uns zum frühstück rief. 
ein junger mann mit ungeschlafenen augen schlürfte kaffee. 
wien

der mann nickte, küßte die frau, ging weg. 
ihre hände legten geld & fahrkarten in unsre. 
sie führte uns zum bahnhof --
prüfte erst die straße. 

am bahnhof ein beamter glänzend ein riesiges hakenkreuz kam uns näher. 

was jetzt? 

dann sahn wir sein gesicht. 
es war der junge mann, der nicht geschlafen hatte. 
es hatte nur ein bett gegeben in der wohnung. 

in wien wartete unser visum aus new York auf uns. 
es war noch zeit wegzugehen. 

31. dezember 1938 --

mitternacht -
der letztmögliche augenblick. 

wir stiegen in einen zug nach holland
in der schweiz hätten wir den krieg 
in einem internierungslager verbringen müssen.

Aus Ruth Weiss "Rausgeholt" ("Single out", 1978), 
von Christian Loidel aus dem Amerikanischen übersetzt